Verrückt
Als Simone am Freitagnachmittag aus der Kanzlei trat, in der sie arbeitete, war ihre Laune auf einem Höhepunkt. Endlich war Wochenende! Endlich konnte sie ausschlafen!
 
Eines war der jungen Frau jedoch schnell klar. Das erste, was sie tun wollte, wenn sie nach Hause kam, war ihre E-Mails checken. Anschließend würde sie nach Neuigkeiten im World Wide Web suchen, etwas essen, Musik hören und am Abend vielleicht noch etwas für die Uni tun. Letzteres war jedoch ziemlich unwahrscheinlich.
Noch während Simone genauer plante, was sie am Wochenende alles tun wollte, tippte sie eine SMS in ihr Handy und drückte schließlich auf ‚senden‘.
Als sie anschließend aufsah, blieb die junge Frau verwirrt vor ihrem roten Kleinwagen stehen. Bei dem ganzen Stress auf der Arbeit hatte sie vergessen, dass sie mit dem Auto da war und nicht wie üblich mit der S-Bahn. Zum Glück war die Erinnerung rechtzeitig zurückgekehrt. Mit einem Lächeln auf den Lippen steckte Simone ihr Handy ein und öffnete die Fahrerseite. Es gab schon verrückte Tage …


Fast fünfhundert Kilometer weiter vibrierte ein Handy auf einem Wohnzimmertisch, gerade dann, als die Besitzerin den Raum betrat. Die junge Frau schaltete wie nebenbei die Stereoanlage ein und lugte neugierig auf ihr Mobiltelefon. Ein Lächeln bildete sich auf ihrem Gesicht und sie strich eine Strähne ihres schwarzen Haares zurück.
‚Ich fahr jetzt nach Hause. Bin bald online‘
Grinsend legte Marie das Handy aus der Hand und ging hinüber ins Esszimmer, um den Computer zu starten. Sie war schon neugierig darauf, was die Münchenerin wieder alles berichten würde. Wie weit sie mit ihrem aktuellen Projekt war und was sie zu ihrem eigenen sagen würde.
Das halbe Land lag zwischen den beiden Frauen und doch hatten sie eine gemeinsame Leidenschaft, die sie verband: Eisbrecher.
Marie sah ungeduldig auf den Kalender ihres Rechners und zählte die Tage zusammen: In genau fünfzig Tagen würden sie sich wieder sehen. Solange dauerte es noch bis zum nächsten Konzert. Das war eine gefühlte Ewigkeit. Eine Ewigkeit, die die beiden sich mit Spinnereien via Internet oder amüsanten SMS-Dialogen vertrieben. Es verkürzte die Wartezeit, es steigerte ihre Vorfreude und es vertrieb das Grau aus ihrer beider Alltage.


Der Stadtverkehr lief zäh und Simone erinnerte sich wieder daran, warum sie üblicherweise mit der S-Bahn zur Arbeit fuhr. Heute war eine Ausnahme gewesen, weil die junge Frau verschlafen hatte und befürchtete nicht mehr rechtzeitig anzukommen. Eigentlich war es Zufall.
Vielleicht aber auch Schicksal.
Aus den Boxen dröhnte die Musik ihrer Lieblingsband, rockig, elektrisch und mit nichts anderem zu vergleichen. Geistesabwesend sang sie mit, während sie dem Stop-And-Go Verkehr folgte. Erst als sie das Zentrum der Stadt hinter sich gelassen hatte, lichtete sich auch der Verkehr und das Fahren wurde wieder angenehmer. Noch während sie der Hauptstraße folgte, ging die Musik aus und die leise Stimme des Radiosprechers erklang. Simone seufzte verärgert und lauschte den Nachrichten nur mit halbem Ohr, als sie vom weitem den Tramper bemerkte, der auf dem Fahrradweg stand.
Simone stutzte verwirrt. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte sie geglaubt… Aber das war nicht möglich. Doch je näher sie heranfuhr, desto sicherer war sie sich und dann bemerkte sie, dass ihre Augen sich nicht täuschten. Ohne einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden, setzte sie den Blinker, fuhr hinter dem Anhalter auf den Fahrradweg und starrte ungläubig in den Rückspiegel.
Der Mann war hochgewachsen, in eine schlichte Jeans und eine dunkelblaue Sportjacke gekleidet und trug ein braunes Basecap auf dem Kopf. Er lachte erleichtert und trabte zu dem Auto, während Simone noch immer misstrauisch abwartete. Sie musste sich einfach versehen haben.
Die Beifahrertür ging auf und Simones Herzschlag setzte für einen Takt lang aus. Der Typ hatte sich weit hinunter gebeugt, um ins Innere des Wagens blicken zu können. Seine braunen Augen strahlten hinter der schwarz gerahmten Brille und dieses Lächeln war unverkennbar. Simone hatte sich nicht versehen!
„Servus! Ich muss nach Fürstfeldbruck. Kannst du mich ein Stückchen mitnehmen?“
Ein Grinsen auf dem Gesicht der Fahrerin erschien, ihr Herzschlag steigerte sich noch um eine Nuance. „Klar!“, meinte sie und sah dem Großen dabei zu, wie er dankbar lächelte und einstieg.
„Super“, sagte er lässig und nahm auf dem Beifahrersitz Platz. „Meine Kiste hat mich im Stich gelassen, aber es ist sicher nur die Batterie. Zuhause hab‘ ich noch eine.“
Simone, die ihr Glück kaum fassen konnte, betätigte den Blinker und reihte sich wieder in den Verkehr ein. Versuchte, das wild pochende Herz und die wirren Gedanken in ihrem Kopf zur Seite zu schieben, um sich auf die Straße konzentrieren zu können.
„Wie unhöflich“, sagte der Fremde plötzlich, nachdem er sich angeschnallt hatte, „ich hab mich gar nicht vorgestellt: Ich bin Alex.“
Die Münchenerin riskierte einen Blick zu ihrem Beifahrer, ohne das Grinsen, das ihr ins Gesicht stand, seit er eingestiegen war, verdrängen zu können. „Ich weiß“, antwortete sie schlicht. Alex sah sie verwirrt an.
Wie auf Kommando verabschiedete sich der Radiosprecher von seinen Zuhörern. Der Hinztriller erklang und die CD im Player wurde wieder aktiviert. Simone fuhr erschrocken zusammen, als die Musik in der voreingestellten Lautstärke weiterlief und griff schnell zum Radio um den Sound leiser zu stellen. Doch die wenigen Sekunden hatten beiden Insassen ausgereicht, um den Song zu erkennen: Verrückt von Eisbrecher.
Alexander lächelte verstehend. „Das ist ja verrückt“, meinte er heiter und sah aus dem Fenster.
„Nein“, meinte Simone leise und starrte wie in Trance auf die Straße vor sich, „das ist unglaublich!“
Er lachte. Dieses unverschämte, charmante Lachen, das seine Art ausmachte und im Kopf der jungen Frau überschlugen sich die Gedanken. Marie hätte alles gegeben für einen solchen Moment. Noch vor wenigen Wochen hatten beide Frauen über ihr Verhalten in einer ähnlichen Situation herumgealbert. Nie wäre einer von ihnen auf die Idee gekommen, dass sie wahr werden würde.
Und nun war es geschehen. Die Chance darauf war so verschwindend gering gewesen wie ein Sechser im Lotto und doch saß Simone nun in ihrem Wagen zusammen mit einem von ihren Idolen. „Und wie war dein Name?“, hakte Alex nach einigen Sekunden des Schweigens nach und riss die Fahrerin aus ihren Gedanken.
„Simone“, antwortete die junge Frau mechanisch.
Es war einfach unglaublich! Alexander war einer der Helden, um den sich ihr Leben in den letzten Monaten gedreht hatte. Er war einer der Jungs von der Band, die sie so sehr vergötterte. Die Band, die ihr dabei half, ihr Leben zu meistern und die Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Die Band, deren Musik sie so tief berührte, wie es noch keine andere geschafft hatte.
Für Eisbrecher war sie durchs Land gereist, hatte Konzerte besucht, Events gefeiert. Sie hatte all ihre Ersparnisse geopfert und hatte Land und Leute kennen gelernt. Simone konnte ihr Glück kaum fassen. Wie gerne hätte sie diesen einmaligen Moment geteilt. Mit jemanden, dem es ebensoviel bedeutete hätte wie ihr selbst.
Die junge Frau setzte den Blinker und wechselte auf die rechte Spur. Sie hatte eine Entscheidung getroffen. Wider aller Vernunft und sich des Wahnsinns durchaus bewusst. Doch wann würde sich so eine Gelegenheit wieder ergeben?
„Wo fährst du hin?“, Alexander sah überrascht zu ihr herüber.
„Über die Autobahn“, antworte sie knapp und mit pochendem Herzen.
Das war verrückt – vollkommen verrückt, doch das war es wert!
„Wieso über die Autobahn, das ist ein Umweg!“ Seine Stimme klang irritiert.
„Naja, ich fahr halt lieber Autobahn. Auf zwei, drei Kilometer kommt es doch nicht an!“
Ihre Antwort schien ihn zu besänftigen, denn er fing an, von anderen Dingen zu sprechen. Ein bisschen Smalltalk, ein bisschen Geflirte. Er war nicht minder unterhaltsam, wie er es auf der Bühne war und Simone genoss die Zeit und die gute Stimmung und hoffte, dass es anhielt, bis sie sich ihrem Ziel näherten.
„Du musst hier rechts!“, meinte Alex plötzlich und reckte den Kopf.
„Wo?“, fragte Simone und versuchte, brav zu klingen.
„Gleich die Nächste. Halt! Hier runter!“
Simone zögerte, der Fuß auf dem Gaspedal reagierte zu langsam. Alexanders Augen folgten dem Ausfahrtschild, dann sah er mit einem abschätzenden Blick seine junge Fahrerin an, die unschuldig lächelte.
„Sorry, ich war zu schnell. Dann müssen wir halt die nächste Ausfahrt nehmen!“
Ihr Puls beschleunigte sich ein wenig. Simone hatte seinen misstrauischen Blick bemerkt. War sie wirklich mutig genug, dass Begonnene durchzuziehen? Was sollte sie tun, wenn die Situation eskalierte? Die junge Frau schob die unangenehmen Gedanken zur Seite, streckte ihren Arm nach dem Musikplayer aus, klickte zurück zu Track vier und aktivierte Repeat.
Es war verrückt, aber es war einen Versuch wert.
„Hier ‘runter!“, sagte Alex im bestimmten Ton, rechtzeitig bevor sich die nächste Gelegenheit ergab. „Nicht, dass du sie wieder verpasst!“
Simone summte heiter die Melodie mit und versuchte, Alexanders durchdringenden Blick zu ignorieren.
„Simone! Du musst hier runter“, wiederholte er eindringlich, nachdem sie auf der Höhe des Verzögerungsstreifens war.
Es war gar nicht möglich, ihn zu missverstehen. Simone schluckte die Angst hinunter und konzentrierte sich auf den Refrain, der aus ihren Boxen drang. Als sie auch an dieser Abfahrt vorbeifuhr, konnte sie merken, dass ihr Beifahrer unruhig wurde. Unruhig und sichtlich sauer.
„Was sollt das hier werden! Wo fährst du hin!“
Die Fahrerin riskierte einen Blick zur Beifahrerseite, nahm alle ihren Mut zusammen und lächelte schelmisch. „Lass dich überraschen!“, flötete sie und ihr Grinsen wurde, trotz Alexanders ansteigender Wut, breiter.
„Wie bitte?“, fragte der Musiker ungläubig. „Das soll wohl ein Scherz sein!“
„Wenn du es als solchen betrachten willst, ist das ok.“
Er starrte sie vollkommen fassungslos an und einige Sekunden lang fehlten dem sonst so redegewandten Mann die Worte. Diese Situation war einfach zu bizarr.
„Simone“, sagte er und zwang sich zur Ruhe, „wir werden die nächste Abfahrt herunter fahren und die Sache einfach vergessen, ok?“
Die Fahrerin schüttelte vorsichtig den Kopf und Alexander brauchte einen Moment, um zu verstehen, dass dies ihre Antwort sein sollte.
„Das kann nicht wahr sein!“, meinte er drohend und zog sein Smartphone aus der Tasche. „Dann muss ich die Bullen anrufen!“
„Und dann?“, fragte Simone unschuldig und sah kurz hinüber auf sein Handy. „Dann verfolgen sie uns, bis ich anhalte. Dann halte ich erst an, wenn mein Auto streikt!“
Alexander sah die junge Frau neben sich berechnend an, bevor er sagte: „Sag mir sofort, wo wir hinfahren und was du vor hast!“
„Wir machen einen Ausflug“, sagte Simone schlicht und grinste ihn kurz verlegen an.
Alexander sah wirklich furchtbar wütend aus. Beinahe schon beängstigend, doch sie durfte sich jetzt nicht von ihm einschüchtern lassen. Wann würde sie je wieder eine solche Gelegenheit bekommen?
Der Frontman neben ihr seufzte resigniert und steckte das Handy wieder in die Hose. Aber was hatte er auch schon für eine Wahl?
„Dann sag mir wenigstens, wann wir endlich da sind?“, forderte er mit einem wütenden Blick aus dem Fenster.
„Bald“, entgegnete Simone und warf einen verschwörerischen Blick auf die Tanknadel. „Bald.“

Es vergingen gut eineinhalb Stunden, in der beide keinen Ton gesagt hatten. Alexander war auf seinen Sitz zusammengesunken und starrte wortlos durch die vorüberziehende Landschaft. Ab und an lachte er ungläubig und schüttelte den Kopf, als könne er nicht glauben, was ihm gerade widerfuhr. Das war einfach zu grotesk. Richtig unwohl fühlte er sich allerdings erst, als sie an einem Schild vorbeirasten, das verkündete, dass sie Bayern verlassen hatten.
„Stand da gerade ‚Stuttgart‘?!?“, fragt er entgeistert und richtete sich in seinem Sitz auf.
„Tatsächlich?“, fragte die Fahrerin rhetorisch, „dann wird es wohl langsam an der Zeit, dass du das Navi einschaltest.“
„Ich soll was?“ Er sah vollkommen entsetzt die junge Frau an. Lachte laut und meinte dann trotzig: „Bestimmt nicht! Ich helfe dir doch nicht noch dabei, mich zu entführen.“
Simone seufzte leise und warf ihrem wütenden Beifahrer einen flüchtigen Blick zu. „Solltest du aber. Wenn wir nämlich nicht dort ankommen, wo ich hin will und der Tank leer ist, kommen wir nicht mehr zurück. Es sei denn du tankst voll, denn ich hab meine Geldbörse gar nicht dabei“, flunkerte sie. Alexander lachte ungläubig, allmählich kam ihm das alles vor wie ein schlechter Scherz. Im Anflug von Wahnsinn drehte er sich herum und sah auf die Rückbank, in der verzweifelten Hoffnung, eine versteckte Kamera zu entdecken.
„Das ist doch alles einfach nicht zu fassen!“, knurrte er und griff nach dem Navigationsgerät, das in seiner Halterung an der Windschutzscheibe hing. „Das hier glaubt mir kein Mensch!“
„Verrückt, oder?“, quietschte Simone kichernd und konnte den tödlichen Blick ihres Beifahrers nicht sehen, weil sie sich auf die Straße konzentrierte.
Der Musiker tippte gehorsam die Adresse ein, die Simone ihm nannte und sein Blick verfinsterte sich.
„NOCH ZWEI STUNDEN!“, schrie er aufgebracht und so laut, dass Simone die Ohren klingelten.
Sein Ausruf kam so plötzlich und unberechenbar, dass die junge Frau zusammenzuckte, das Lenkrad verriss und auf die Überholspur kam. Alexander schrie, Reifen quietschten und das Auto hinter ihnen hupte erbost. Es war nur ein Bruchteil einer Sekunde, in der Simone die Kontrolle über den Wagen verloren hatte, doch dann hatte sie sich gefangen und lenkte den Kleinwagen wieder auf die rechte Spur, ohne dass etwas Schlimmeres passiert war. Sie junge Frau atmete hörbar aus und nahm den Fuß vom Gas. Ihr Hintermann brauste aufgebracht an ihnen vorbei, doch weder Simone noch Alexander nahmen Notiz von ihm.
Ihr Herz pochte schmerzhaft und ihre Hände begannen, zu zittern und auch ihr Beifahrer rang mit Worten. Es dauerte eine Weile, bevor er sich wieder traute, seine Fahrerin mit Worten abzulenken.
„Du lässt mich sofort aussteigen! Scheißegal, wo wir hier sind!“
„Beruhig dich doch mal, du hast mir nur ‘nen riesen Schrecken eingejagt!“
„MICH BERUHIGEN!?!“, brauste der Frontman erneut auf. „MICH BE-RUIHEN??? Ich werde gerade entführt! Von einer Frau, die zwei Köpfe kleiner ist als ich! Die Polizei wird sich bei meiner Aussage krank lachen und vom Stuhl fallen!“
Auch Simone konnte sich bei dieser Vorstellung das Lachen nur schwer verkneifen, doch in der momentanen Situation hielt sie es für ratsam, es zumindest zu versuchen.
„Keine Sorge, Alex“, meinte sie im sanften Ton, „glaub mir, heute Nacht wirst du wohlbehütet wieder in deinem Bett sein. Sogar alleine, wenn du darauf bestehst!“
Der Musiker sog zischend die Luft ein. Allmählich wurde ihm das Szenario unheimlich und langsam verstand er den Sinn von Bodyguards.


Stirnrunzelnd und nur widerwillig erhob sich die junge Frau, um sich einen Kaffee aus der Küche zu holen. Vier Stunden hatte sie gewartet. Vier sinnlose Stunden im Internet verbracht, auf belanglosen Seiten herumgesurft und darauf gewartet, dass Simone endlich online kam. Doch Simone kam nicht online.
Zuerst war Marie enttäuscht gewesen, dann sauer und als die Münchnerin nicht auf ihre SMS geantwortete hatte, besorgt. Vielleicht war etwas Schlimmes passiert, vielleicht aber auch etwas Gutes, was sie abgelenkt hatte. Diese Ungewissheit machte die junge Frau verrückt. Ein kleiner Satz hätte gereicht, um sie zu beruhigen. Drei kleine Worte per SMS oder Mail und sie hätte es verstanden. Aber es kam nichts dergleichen und genau dies war nun einmal sehr untypisch für Simone.
Als Marie zurück ins Esszimmer kehrte und gerade wieder Platz vor dem Rechner nehmen wollte, wurde sie abgelenkt. Es hatte geklingelt. Verwundert ging die junge Frau hinüber, um aufzumachen und überlegte, wer zu ihr hereinschneite, ohne sich anzukündigen. Es konnte sich nur um die engere Familie handeln oder aber auch um ihre beste Freundin.
Marie öffnete die Haustür und erstarrte.
Vor ihr stand Simone mit einem Grinsen im Gesicht, das nicht strahlender hätte sein können, rief sie: „Überraschung!“
„Simone!?!“, meinte Marie verblüfft und umarmte die Münchnerin zur Begrüßung. „Was machst du denn-“ Ihr blieb die Luft weg.
Simones Grinsen wurde noch einen bisschen breiter. „Du glaubst nicht, was mir heute passiert ist!“
Marie starrte ungläubig auf den Mann, der mit finsterer Miene an Simones Auto lehnte und die beiden Frauen verdrießlich betrachtete und einen Augenaufschlag lang vergaß sie, zu atmen.
„Da hast du Recht!“, bestätigte sie in einem hellen Ton, ohne den Frontman aus den Augen zu lassen. „Das glaub ich nicht…“
Simone drehte sich um und nickte sich anmerkend zu. Sie hatte es tatsächlich durchgezogen. Das war verrückt – total verrückt, aber es war toll!
Einige Sekunden starrten die drei einander nur ungläubig an. Die Mädels, weil sie es nicht fassen konnten, dass ihr Idol wirklich da war und der Musiker, weil er es nicht glauben konnte, was ihm da gerade widerfahren war. Nachdem keiner von ihnen ein weiteres Wort herausbrachte, war er der Ansicht, dass er es selbst in die Hand nehmen müsse und wandte sich an Simone.
„War’s das?!“, fragte er. „Können wir wieder los? Vielleicht bist du nicht auf die Idee gekommen, aber ich hatte heute noch andere Dinge vor. Das war allerdings, bevor du mich entführt hast.“
„Simone, du hast was?“, fragte Marie und schlug erschrocken die Hand vor den Mund.
„Nicht ganz“, verteidigte sich die Münchnerin, „er ist freiwillig eingestiegen!“
Alexander stieß sich von dem Wagen ab und ging, mit vor Verblüffung offenstehenden Mund, auf die beiden Fans zu. Er wollte etwas erwidern, doch während er nach Worten suchte, klingelte etwas. Der Frontman zog sein Handy aus der Tasche, betrachtete das Display und ging schließlich ‘ran.
„Servus, Pix!“ Simones leises Quietschen ging in Alexanders Telefonat unter. „Du glaubst nicht, was mir heute passiert ist!“
Die beiden Frauen standen schweigend da und lauschten dem Gespräch, in dem der Musiker offensichtlich versuchte, die Verabredung mit seinem Bandkollegen zu verschieben, ohne dabei den Grund nennen zu müssen.
„Ich kann einfach nicht, reicht das? … Weil ich nicht in München bin! … Nein, auch nicht. … Ich kann einfach nicht, Jochen! … Warte einen Moment!“ Er drehte sich zu den beiden Frauen um, ließ das Telefon etwas sinken und fragte: „Wo sind wir hier?“
„In Tripstadt“, sagte Marie mit leuchtenden Augen.
„In Tripstadt!“, wiederholte Alexander ins Telefon und wandte sich wieder mit finsterer Mine um. „TRIP-STADT! … Nein, das ist kein Scherz! … Moment“ Der Frontman kam wieder auf die Frauen zu und hakte, das Telefon an seine Brust gedrückt, nach: „Wo liegt Tripstadt?“
Marie und Simone tauschten schuldbewusste Blicke.
„Bei Kaiserslautern, Rheinland-Pfalz“, antworte Marie gehorsam.
Alexander seufzte resigniert und wandte den beiden wieder den Rücken zu. Er atmete hörbar durch, bevor er sich wieder das Mobiltelefon ans Ohr drückte. „In Rheinland-Pfalz! … Mit dem Auto! … Woher weißt du, dass mein Auto nicht geht? … Oh … Ich erklär’s dir morgen, ok? … Das hoffe ich zumindest! … Gut, alles klar. Bis morgen!“
Der Musiker zögerte einige Sekunden, nachdem er sein Handy wieder zurückgesteckt hatte, doch dann überwand er sich und gesellte sich wieder zu den beiden Frauen. Seine Laue allerdings hatte sich kein bisschen gebessert.
„So, was nun, Simone?!?“, fragte er ungeduldig und verschränkte die Arme vor der Brust.
Simone sah irritiert von Alexander zu Marie und zuckte mit den Schultern.
„Was nun, Marie? Ich hab‘ ihn hergebracht, du bist nun für die Unterhaltung zuständig!“, sagte die Münchnerin und stieß Marie den Ellenbogen in die Rippen.
Diese unterdrückte einen Schmerzensschrei und riss ihre Augen zum ersten Mal, seit er hier war, von ihrem Helden ab.
„Ich kann’s einfach nicht fassen!“, sagte sie leise.
„Du kannst es nicht fassen!?!“, unterbrach der Musiker die beiden und lachte irre. „Ja, für mich ist es selbstverständlich, dass ich wider Willen mitgenommen werde!“
Marie sah nervös zu Simone, die noch immer dieses nicht enden wollendes Grinsen auf dem Gesicht hatte.
„Wie wär’s, wenn wir erst ‘mal ’nen Kaffee trinken?“, schlug sie vor.
„Wenn du auch ’ne Cola hast“, entgegnete Simone.
„Hab‘ ich!“
„Perfekt!“
Marie drehte sich um und betrat den Flur, während Simone ihr unaufgefordert folgte. Dann fiel die Tür ins Schloss. Alexander hingegen stand noch immer, wie angewurzelt an derselben Stelle wie zuvor und konnte einfach nicht glauben, was hier vor sich ging. Es machte fast den Anschein, als wäre das alles völlig normal. Er war zweifellos kurz vor dem Wahnsinn. Irgendwie beunruhigte ihn die Lässigkeit, die die beiden Frauen an den Tag legten.
Es dauerte einige Sekunden, bevor sich die Haustür wieder öffnete. Simone streckte den Kopf hinaus, sah Alexander auffordernd an und entgegnete: „Willst du keinen Kaffee?“
Der Musiker stöhnte geschlagen, zog das Basecap vom Kopf und fuhr sich mit der Rechten über den kahlen Schädel.
„Widerstand ist eh zwecklos, oder?“, fragte er resigniert.
Simones Augen funkelten kampfeslustig. „War’s das nicht von Anfang an?“, entgegnete sie frech. Alexander zog mahnend eine Braue nach oben und brachte damit sein Gegenüber zum Kichern. Machtlos schüttelte er den Kopf, trat die beiden Stufen nach oben und folgte Simone in das Innere des Hauses.

Es war nicht viel Zeit, die sie miteinander verbrachten, doch es würde allen drei in Erinnerung bleiben. Alexander, weil er vermutlich nie wieder etwas so verrücktes erleben würde – hoffte er zumindest - und Simone und Marie, weil sie wussten, dass dies eine einzigartige Gelegenheit war, die nie wieder kommen würde.
Sie sprachen über Gott und die Welt. Darüber, wie sich die beiden Frauen durch Eisbrecher kennen und schätzen gelernt hatten. Welche Konzerte sie dieses Jahr besucht und welche für nächstes Jahr geplant waren. Alexanders anfängliche Wut war abgeflaut. Zwar zeigte er sich wenig begeistert über den spontanen Ausflug wider Willen, jedoch ließ er sich damit vertrösten, dass die beiden ihm nach dem nächsten Konzert ein Getränk schuldig waren.
Nach einer knappen Stunde jedoch räumte Simone ein, dass sie sich wieder auf den Weg machen mussten. Immerhin lag eine mehrstündige Fahrt vor ihnen. Und so kam der Abschied schneller, als sie es sich gewünscht hätten, doch er fiel immerhin freundlich aus als die Begrüßung.
Marie sah dem Auto mit dem Münchener Kennzeichen hinterher, bis es außer Sichtweite war und war sich noch immer nicht sicher, ob das Ganze wirklich passiert war.
Das war einfach zu verrückt.


„Du kannst mich hier ’rauslassen!“ Nach allem, was heute passiert war, wollte Alexander nicht, dass Simone auch noch seine genaue Anschrift kannte.
„Hier? Sicher?“, fragte die junge Frau verwundert und fuhr auf den Parkplatz des Getränkemarktes auf.
„Ganz sicher!“, bestätigte Alexander.
Als der Wagen hielt, sah der Frontman noch einmal zu seiner Entführerin und schüttelte ungläubig den Kopf, bevor er ernst sagte: „Du weißt schon, dass das hier ziemlich strange war?“
„Hey, ‚strange‘ ist mein zweiter Vorname“, witzelte Simone und lachte dabei schuldbewusst
Dem Frontman fehlten die Worte, angesichts dieses Wahnsinns.
„Du bist verrückt!“, schloss er schließlich und öffnete die Tür und stieg aus.
„Zum Glück bin ich verrückt!“, feixte Simone und der Musiker lächelte geschlagen. In ein paar Wochen würde auch er sicher darüber lachen können. „Gute Nacht, Simone!“
„Gute Nacht, Alex, und danke!“
Einen Moment lang blieb der Frontman verwundert stehen, die Tür des Kleinwagens fest umklammert und den Kopf voll mit Gedanken aus den letzten Stunden. Dann nickte er schließlich knapp, schlug die Autotür zu und sah dem kleinen roten Wagen dabei zu, wie er wendete.
Als das Auto schließlich außer Sichtweite war, machte er sich auf den Nachhauseweg. Er würde noch gute fünf Minuten zurücklegen müssen, bevor er endlich – wie Simone versprochen hatte – in sein Bett fallen konnte.
Eines war ihm nach diesem Tag jedoch klar: Er würde nie wieder per Anhalter reisen!





Diese Seite wurde am 15.07.2015 eingestellt. Kontakt könnt ihr weiterhin über meine E-Mailadresse aufnehmen: l a d y _ a m a n z i a ( a t ) w e b . d e
 
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